Die Chefredakteursbüchse

Wild und Hund, 20/2014

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120 JAHRE WILD UND HUND

 

Ein Gewehr hat immer auch eine Geschichte. Hier wird erzählt, wie die der Chefredakteursbüchse ans Licht kam und ein Büchsenmachermeister aus einer alten Mauser ein Schmuckstück machte. Heiko Hornung

 

 

Es war ein regnerischer, grau-trüber Tag in Undeloh, einem kleinen Weiler in der Lüneburger Heide. Die alten Eichen und Fichten senkten vom vielen Regen getränkt ihre Äste dem dunstigen Boden schwer entgegen. Marga Reetz, die Frau des langjährigen Chefredakteurs Horst Reetz, der rund 50 Jahre lang der WILD UND HUND gedient hatte, überreichte mir traurig bei einer Tasse Tee eine Büchse. „Ich musste ihm versprechen, dass ich dieses Gewehr an Sie weitergebe“, sagte sie, und Tränen erstickten ihre Stimme. Für Horst Reetz war rund ein halbes Jahr zuvor das letzte Halali erklungen. Die Büchse war auf den ersten Blick nichts Besonderes. Ein altes Mauserfabrikat im Kaliber 7 x 64.

 

 

Das System und der Stufenlauf ließen darauf schließen, dass es sich um eine Kriegs- oder Nachkriegs-Produktion handelte. Sie besaß einen Deutschen Stecher und einen einfachen, funktionalen Holzschaft – für mich mit fast zwei Metern Körpergröße viel zu kurz. Da offenbar nachträglich eines der ersten lichtstarken Swarovski-Gläser mit einer Suhler-Einhakmontage angebracht wurde und damit ein Umlegen der Flügelsicherung nicht mehr möglich war, wurde eine kleine Abzugssicherung an der Schaftseite montiert. „Nehmen Sie das Erbe an?“, fragte mich die Witwe, die selbst lange Jahre ihrem Mann bei WILD UND HUND noch zu Hamburger Zeiten des Magazines assistierte. Ich bejahte die Frage. Reetz war auch nach seinem Ruhestand, den er unter anderem wegen seiner angeschlagenen Gesundheit antreten musste, immer ein „wilder Hund“ geblieben. Er fungierte als Redaktionsbeirat und stellte die wundervollen Treuebändchen zusammen, über die sich Tausende von Lesern freuten. Zu diesem Zweck saß er manchmal im Archiv und las. Dort traf ich ihn auch noch in den Abendstunden, und oft diskutierten wir über aktuelle Jagdpolitik oder die Veränderungen im Fachjournalismus. Jetzt hielt ich sein Gewehr in Händen. Er war dafür bekannt, keinen überquellenden Gewehrschrank besessen zu haben. Diese Büchse hatte auch er übernommen, wusste Frau Reetz. Sein Vorbesitzer war Richard Kruse. Kruse war der zweite Chefredakteur der WILD UND HUND. Er folgte 1937 als Redaktionsleiter auf den legendären Mitbegründer Erwin Stahlecker. Kruse hatte schwere Zeiten mitgemacht: 1944 den Zusammenbruch und die Einstellung des Blattes, danach die Flucht aus Berlin. In Hamburg fand er mit den damaligen Verlegern Georgi wieder zusammen, und mit britischer Lizenz erschien das Jagdmagazin bereits 1948 wieder, obwohl zu diesem Zeitpunkt offiziell noch kein deutscher Jäger ein Gewehr tragen durfte. Erst Anfang der 1950er-Jahre begann auch für die Jäger die „Wiederbewaffnung“. Genau aus dieser Zeit stammt auch das Erbstück, fand Büchsenmachermeister Roland Kessler aus Deggendorf heraus, als er die Beschussstempel genauer betrachtete. Der Erstbeschuss erfolgte demnach in Ulm im Mai 1956.

 

 

Kessler hatte die Büchse zur Generalsanierung nach einer zunächst unerfreulichen Begegnung erhalten. Auf einer Messe in Nürnberg war ich mit ihm in Disput über den Vorwurf geraten, dass das traditionelle Büchsenmacherhandwerk in WILD UND HUND keinen Stand mehr habe. In der Folge dieser Auseinandersetzung kam die Sprache auf die Erb-Büchse und den Willen, sie zu restaurieren. Kessler wollte die Waffe sehen und machte sich mit dem ihm eigenen Anspruch ans Werk. Wer den seit 30 Jahren in Niederbayern ansässigen Büchsenmacher kennt, weiß, dass halbe Sachen mit ihm nicht zu machen sind. Bekannt wurde der knorrige Unterfranke durch eine schlanke, leichte und präzise Pirschbüchse auf Mauserbasis – der Kesslerin. Eine Büchse, die schon viele verführt hat. Die Idee dazu kam dem Wahl-Niederbayern auf der Bergjagd in den rumänischen Karpaten. Eine zeitlose, akkurate, handliche und funktionale Pirschbüchse wollte er bauen. Dieser Philosophie ist er treu geblieben, und die Kunden gehen ihm nicht aus. Wer die schlanke Begleiterin führen will, muss bis zu einem Jahr warten, bis sie fertig ist.

 

 

Zunächst vermaß Kessler die Verschlussabstände. Die Toleranzen von drei Zehntel Millimeter waren für eine Kriegsfertigung vielleicht noch in Ordnung, ein Beschussamt spielt da heute nicht mehr mit. Zwar zeigte die Büchse bei einem Schießstandbesuch noch ein ganz ordentliches Schussbild, aber den Lauf deswegen einfach tiefer einzuschrauben, kam für den 56-jährigen Büchsenmachermeister nicht infrage. Er zerlegte die Büchse sukzessive, fräste den Lauf heraus und legte einen neuen Walther-Lauf ein. Er entnahm die Abzugsgruppe und ersetzte sie durch einen eigenen Kesslerabzug, der elegant und trocken bei 600 Gramm bricht. Die alte Flügelsicherung ersetzte er durch eine Dreistellungssicherung von Segura. Die Montagesockel für die Einhakmontage nahm er ab, verlötete die Bohrlöcher und setzte eine Henneberger-Schwenkmontage für ein neues Zeiss Victory HT 2,5 -–10 x 50 auf. Während die vierköpfige Werkstattbesatzung noch an Lauf und System schliff, feilte und lötete, besahen Chef und Schäfter den Holzanteil des Erbgewehres. Reetz war von untersetzter Statur, dementsprechend kurz war der Hinterschaft. Außerdem hatte der wegen der seitlich angebrachten Greener-Sicherung ein Loch, und das neue Laufprofil passte auch nicht mehr in den Vorderschaft. Aus der Teilsanierung war schon längst ein Neuaufbau geworden. Der Schäfter wählte ein hell gemasertes Nusswurzelholz, womit die dunkle Brünierung schön hervortritt. Das Ergebnis ist eigen, kann aber seine Verwandtschaft zur Kesslerin nicht leugnen – ein schlanker, linearer Schaft mit einer deutschen Backe. Ein Anschlag und das Auge sitzt sauber hinter dem Zielfernrohr. Zuletzt kümmerte sich Kesslers Tochter Katharina um die gravierte Silberplatte im Hinterschaft. Darauf sind alle Chefredakteure vermerkt, die in den vergangenen 120 Jahren der WILD UND HUND gedient hatten.

 

 

 

Als ich auf das Ladengeschäft von Roland Kessler im Sommer zuschritt, war ich aufgeregt. Wie würde die Büchse jetzt aussehen? Als sie wenige Momente später vor mir auf dem Tisch lag, staunte ich. Aus der etwas unförmigen alten Mauser war eine elegante, schlanke Büchse geworden. 200 Stunden Büchsenmacherkunst stecken darin. Jeder in der kleinen Werkstatt hatte seine Hände daran. Ein ganz individuelles Stück, das es von der Stange nicht geben kann. Eine Waffe, die ich in Ehren halten werde, wie es Horst Reetz getan hat. Und wenn die Zeit reif ist, wird sie als Chefredakteursbüchse in würdige Hände gehen.

 

 

Büchsenmacher Meisterwerkstatt Waffen Kessler

 

 

 

Öffnungszeiten Ladengeschäft

Mi, Do: 16.00 - 18.00 Uhr

Weitere Termine wie Werkstattbesuche, Schießen, Schaftholzauswahl, nach Vereinbarung.

Land - Au 6 • 94469 Deggendorf

Tel.: +49 991 - 28 48 42

Fax: +49 991 - 28 48 41

info@waffen-kessler.de

Land - Au 6 • 94469 Deggendorf​